Handelsblatt - Schwaben und Donuts

Was als Hobby begann, ist für die deutsche Auswanderer-Familie Tögel heute Hilfe bei der Jobsuche und ein kleines Geschäft: Die hauseigene Web-Seite hat Kult-Status erreicht.

Thanksgiving ist nicht der Geburtstag des Truthahns. Auch wenn dieser Vogel in den USA traditionell am Tag des Erntedankfests auf den Tisch kommt. Dies muss die deutsche Auswandererfamilie Tögel, die es aus Krehwinkel im Schwabenland nach Colorado Springs im Westen der USA verschlug, noch lernen. Gerade die jüngeren Familienmitglieder halten hartnäckig an ihrer Truthahn-Theorie fest. Doch immerhin haben die Tögels bereits den amerikanischen Kapitalismus übernommen. Sie raten zu Spaghetti-Aktien. Denn wenn jedes Kind, so wie die fast zwei Jahre alte Annie-Mae Tögel, die gekochten Nudeln gerne in der Wohnung verteilt – dann müssen diese Werte doch klettern.

Von solchen Details einmal abgesehen, sind die fünf Auswanderer – Peter, Connie, Jamie- Lee, Holly und Annie-Mae – inzwischen ausgemachte USA-Experten.

Auf ihrer Web-Seite www.togel.com geben sie der großen Gemeinde der USA-Interessierten und Ausreisewilligen Tipps für den Umzug, das Visum wie für den Autokauf. Die Seite hat inzwischen Kult-Status erreicht: Mehrere tausend Besucher täglich zählen die Tögels.

Wie bekomme ich eine Kreditkarte? Die Schwaben geben Auskunft. Wer vergibt die Sozialversicherungsnummer? Wie kann ich mich gegen die Werbeflut im Briefkasten schützen? All das sind Fragen, auf die Hilfesuchende auf der Netz-Seite der Exil- Schwaben Antworten finden. Was sollten Auswanderer in Deutschland lassen? Antwort: Pflanzen, den Elektroherd, den Fernseher und die Schwiegermutter.

Wer schon immer wissen wollte, welche Zutaten in den klebrig-süßen Krispy Kreme Donuts, den ultra-amerikanischen fettgebackenen süßen Teigkringeln stecken, ist hier auch nicht falsch: Diamonium Phosphate, Sodium Stearoyl Lactylate und Malted Barley Flour sind drin.

Der Nutzwert allein erklärt allerdings nicht die Popularität der Seite. Togel.com ist eine Mischung aus „Big Brother“ und „Unsere kleine Farm“, aus Chaos und Idylle, aus Ratgeber und Komödie. Denn Besucher bekommen auch ganz private Einblicke in den Alltag der Wahl- Amerikaner. Neben Live-Bildern aus der Internet-Kamera informiert ein Rundbrief per E-Mail die wachsende Fangemeinde über die Abenteuer der Familie.

Und bei Tögels ist allerhand los: Die Kinder landen bei Wochenendausflügen im Bach oder müssen – ausgerechnet Sonntags – ins Krankenhaus gefahren werden. „Eigentlich haben wir die Web-Seite begonnen, um Freunde und Verwandte in der Heimat wissen zu lassen, wie es uns hier geht“, erinnert sich der 35jährige Familienvater Peter Tögel. Damals, 1995, war die interkontinentale Kommunikation noch um einiges schwieriger – Telefongespräche waren um ein Vielfaches teurer als heute, das Faxen ebenfalls kostspielig und sehr aufwändig.

Nur: Kenntnisse in Web-Seiten-Gestaltung hatte er noch keine. „Das Internet steckte ja in Deutschland damals noch in den Kinderschuhen.“ Ein großes Hindernis war das aber nicht: Er brachte sich die Programmiersprachen Perl und Java Script sowie die Formatsprache HTML selbst bei – meist durch das Studium anderer Web-Seiten. „Ein Buch über HTML habe ich nie gelesen“, sagt er stolz. Nach und nach wurde die Familien-Seite technisch immer ausgefeilter – zum Text kamen Fotos, zu den Fotos Spiele, die Live-Kamera mit Bildern des Wohnhauses und der Umgebung.

Wie das Design der Web-Seite wurde auch der Nutzerkreis bunter. „Immer mehr Leute schrieben uns und wollten Tipps zur Ausreise oder zum Leben in Amerika“, erinnert sich Vater Peter. Selbst Freundschaften haben die Tögels durch ihr Internet-Engagement schon geknüpft.

Heute hat die Seite eine Doppelfunktion: „Wir grüßen unsere Verwandten und helfen anderen.“ Und auch ihm selbst hat die Pioniertätigkeit im Internet geholfen: „Sie hat mir eine gewisse Sichtbarkeit in der Szene verschafft.“ Denn schon bald galt der Internet-Auftritt der Familie als Avantgarde des noch relativ neuen Mediums. Firmen suchten Tögels Rat – und bald entwickelte er interaktive E-Commerce-Seminare für eine deutsche Fern-Uni in Darmstadt. Die Bekanntheit kam Tögel denn auch gelegen, als ihm sein amerikanischer Arbeitgeber vor zwei Jahren kündigte: „Innerhalb einer Woche bekam ich fünf Job-Angebote.“

Die technischen Fertigkeiten und die Internet-Expertise, die sich der Wahl-Amerikaner in den vergangenen Jahren angeeignet hatte, waren inzwischen vor allem auf dem deutschen Arbeitsmarkt heiß begehrt. Tögel unterschrieb beim – inzwischen gescheiterten – Auktionshaus Itrade in München, packte sein gesamtes Hab und Gut in einen Container, der per Schiff nach Deutschland verfrachtet wurde, und zog mit der ganzen Familie nach Untermeintingen in Bayern zurück. Die Web-Seite blieb dennoch bestehen: Auch aus Deutschland wurde die Fan-Gemeinde weiterhin mit Neuigkeiten, Fotos und Berichten darüber, was die Tögels stört, amüsiert oder wundert, versorgt.

Die Anhänger lasen wenig Erfreuliches: Schnell erlebte die Familie – wie viele Rückkehrer – den umgekehrten Kulturschock: So vergaben sie einer Behörde einen virtuellen Geschwindigkeitspreis, weil diese – obwohl alle Dokumente vier Wochen vorlagen – erst eine Woche später mit der Bearbeitung begann. Aus den USA waren die Ein- und Auswanderer mehr Tempo und weniger Bürokratie gewöhnt.

Für Vater Tögel war der Aufenthalt in Deutschland somit nur ein Zwischenstopp. Er suchte wieder in den USA nach einem Job – und wurde fündig. Das jüngste Kapitel seiner Job-Erfarung in den Staaten brachte ihn mitten in die New Economy. Tögel arbeitete für Channelpoint, ein Startup, das Internet-Dienstleistungen für Banken und Versicherungen anbietet. Und prompt erging es dem Schwaben wie so vielen E-Arbeitern: Sein Job als Produkt-Manager wurde gestrichen.

Die Kündigung lief ganz im Stil der Neuen Wirtschaft: Während Tögel einige Tage verreist war, erfuhr er von einem Kollegen, dass dieser seinen Job verloren hatte. Beunruhigt rief Tögel seine Frau an: „Irgendwelche Anrufe oder Mails von der Firma?“

Fehlanzeige. Doch schnell hatte er die Gewissheit, dass auch er auf der Straße stand. Aus Angst vor Klagen wurde ihm dies gar nicht erst schriftlich mitgeteilt.

Doch Tögel bleibt amerikanisch-unbeschwert: „Ich werde schon etwas finden, wahrscheinlich mache ich mich selbständig.“ Schließlich hat er gerade sein nächstes Projekt gestartet: Die Erfahrungen der Familie Tögel sind in Deutschland und den USA in Buchform erschienen („Briefe, die das Leben schrieb oder der ganz normale Wahnsinn einer Auswandererfamilie“).

Die Web-Seite soll es trotzdem weiterhin geben. „Ich habe mich schon richtig daran gewöhnt, alles, was wir erleben, aufzuschreiben und für das Internet umzusetzen.“ Seine Fangemeinde und alle angehenden Auswander wird diese Nachricht freuen.